Aktuelle Entwicklungen zum elektronischen Semesterapparat
Zum 01.03.2018 ist das neue Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) in Kraft getreten. Was bedeutet das für die Hochschullehre?
Vermutlich motiviert durch die bundesweite, beharrliche Weigerung der Hochschulen, dem von der VG Wort gewünschten Rahmenvertrag zur Einzelabrechnung von digitalisierten Lehrinhalten beizutreten, erfolgte im Juni 2017 der Regierungsentscheid zur ‚Einführung des Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft‘. Das neue Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) passierte im Juli 2017 den Bundesrat und ist - zunächst befristet auf fünf Jahre - zum 01.03.2018 in Kraft getreten. Nach etwa vier Jahren ist eine Evaluation der Auswirkungen des Gesetzes geplant. Sodann wird entschieden, ob es zu einer Verstetigung der Regelungen kommt.
Im Gesetzgebungsverfahren besonders umstritten war der 'elektronische Semesterapparat', der bisher in § 52a UrhG geregelt war. Diese Vorschrift wurde aufgehoben und inhaltlich neu gefasst. Der Semesterapparat findet sich nun wieder in den Vorschriften der §§ 60a Abs. 1 UrhG (Lehre) und 60c Abs. 1 UrhG (Forschung).
Welche Neuerungen gibt es?
Dr. Till Kreutzer, Vortrag zum Urheberrecht in der digitalen Lehre und Forschung nach dem neuen UrhWissG vom 24.11.2017
Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundestagsrede zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz vom 30.06.2017
Prof. Dr. Achim Förster, Urheberrechts-FAQ vom 05.02.2018
Beachten Sie auch den 2021 erschienenen Band Talke, Armin: Bibliothekserlaubnisse im Urheberrecht. Hier sind insbesondere folgende Kapitel interessant:
B. Gesetzlich erlaubte Nutzungen (Schranken) für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen
C. Ausnahmeregeln für Unterricht und Lehre § 60a UrhG
D. § 60c UrhG: Wissenschaftliche Forschung
Zunächst einmal dürfen nur Werke verwendet werden, die zuvor veröffentlicht worden sind. Daran hat sich nichts geändert. Die Veröffentlichung kann in analoger oder digitaler Form erfolgt sein. Das ist bei Verlagspublikationen - wie etwa bei Fachbüchern oder Zeitschriften- bzw. Zeitungsbeiträgen - in der Regel unproblematisch.
Digitalisiert und im elektronischen Lernraum bereitgestellt werden dürfen:
- 15% eines Schriftwerkes, etwa eines Lehrbuches,
- Ganze Abbildungen, insbesondere Grafiken oder Lichtbilder,
- Werke geringen Umfangs, darunter fallen Gedichte, Texte von etwa 25 Seiten, Musikeditionen von etwa 6 Seiten, zudem Filme und Musikstücke von höchstens 5 Minuten,
- Einzelne Fachbeiträge aus wissenschaftlichen Zeitungen oder Fachzeitschriften.
Ausgenommen sind jedoch ganze Beiträge aus Presseerzeugnissen wie etwa Kiosk- oder Publikumszeitschriften, darunter auch Tageszeitungen. Allerdings können derartige Artikel im Rahmen der zulässigen 15%-Grenze digitalisiert und im Lernraum zugänglich gemacht werden.
Wichtig im Rahmen der elektronischen Literaturbereitstellung ist es, das die Zugänglichmachung der Veranschaulichung im Unterricht dient. Das ist eigentlich immer der Fall, wenn mithilfe der Digitalisate der Lehrstoff verständlicher dargestellt und leichter erfasst werden kann. Die Zugänglichmachung darf keinen Selbstzweck erfüllen, sondern muss unmittelbar in das Unterrichtsprogramm eingebunden sein und eine didaktische Funktion übernehmen. Dazu gehören auch Vor- und Nachbereitungszeiten sowie Prüfungszeiten.
Bitte bedenken Sie, dass die Materialien immer nur einem klar abgrenzbaren Personenkreis zugänglich gemacht werden dürfen, nämlich nur denjenigen, die Teilnehmer Ihrer Lehrveranstaltung sind. Dieser „erlesene“ Kreis sollte bestenfalls bereits zum Zeitpunkt der Bereitstellung der Lehrmaterialien definiert und abgegrenzt sein. Realisiert werden kann das technisch durch die Vergabe von Passwörtern oder etwa durch Einrichtung von zugangsgeschützten Räumen auf Lernplattformen.
Ebenso können Lehrmaterialen für andere Lehrende oder Prüfende derselben Einrichtung vervielfältigt (digital und analog) und an diese für eigene Unterrichts- oder Prüfungszwecke ausgegeben werden.
Eine gute Übersicht bietet die von ELAN e.V. erstellte Synopse, im Rahmen derer alte und neue Rechtslage gegenüber gestellt sind.
Bedenkenlos online genutzt werden können:
- Selbst erstellte oder verfasste Werke wie etwa Skripte, Vortragsfolien, Übungsaufgaben und Klausuren etc. Hier können ohne weiteres auch fremde Werke im Wege des Zitatrechts eingebunden werden, sofern die Zitate als solche kenntlich gemacht und mit einer Quellenangabe versehen werden,
- Werke, deren Autoren/innen über 70 Jahre tot sind (häufig Werke mit Erscheinungsjahr vor 1921),
- Werke unter freien Lizenzen wie etwa Open-Access-Publikationen oder Veröffentlichungen mit einer Creative-Commons-Lizenz (hier bitte die Nutzungsbedingungen beachten),
- Verlinkungen auf lizenzierte, elektronische Aufsätze und E-Books etc. der Bibliothek,
- Verlinkungen auf im Internet veröffentlichte Texte, sofern diese nicht unrechtmäßig oder illegal online gestellt wurden.
Bitte denken Sie daran, dass das Hochladen oder Einspielen von studentischen Arbeiten grundsätzlich nur mit der Zustimmung der/s Studierenden erlaubt ist.
Nein!
Nach altem Recht war eine Zugänglichmachung der Lehrmaterialien dann unzulässig, wenn der Rechteinhaber, in der Regel der Verlag, das Lehrbuch oder den Zeitschriftenbeitrag in elektronischer Form zu angemessenen Lizenzbedingungen angeboten hat und die Verfügbarkeit rasch und unproblematisch realisiert werden konnte. Erst, wenn kein elektronisches, schnell verfügbares Verlagsangebot vorlag, war die digitale Bereitstellung der Texte im Rahmen des § 52a a.F. UrhG möglich. Das galt es zu prüfen. Dieses Erfordernis besteht nun nicht mehr.
Sämtliche Werknutzungen, die urheberrechtlich relevant sind, sind vergütungspflichtig. Während noch bis vor kurzem die individuelle Einzelerfassung der Nutzungen im Diskussionsraum stand, hat sich der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift des § 60h Abs. 3 UrhWissG nun von dieser Idee gelöst. Damit dürfte die von der VG Wort lange geforderte, aus Hochschulperspektive jedoch unwirtschaftliche Einzelvergütung vom Tisch sein. Die Höhe der angemessenen Vergütung an die VG Wort soll sich nun auf der Basis von Pauschalen oder Stichproben bemessen. Hierzu wird vermutlich ein Bemessungsverfahren entwickelt.
Unklar ist es auch, ob die Nutzungen wie bisher aus dem Landeshaushalt finanziert oder über die Budgets der Hochschule abgerechnet werden.
Nach dem Urheberrechtsgesetz ist das Zitieren bereits veröffentlichter Werke – wobei neben Textpassagen auch andere Werkarten wie Fotos, Abbildungen, Diagramme, technische Darstellungen oder Musik- oder Filmausschnitte etc. erfasst werden – in einem eigenen Lehrskript gestattet, sofern ein Zitatzweck vorliegt. In dieser Hinsicht muss das Zitat die eigenen Ausführungen inhaltlich unterstützen bzw. erläutern, den Vorlesungsstoff veranschaulichen, etwa als Beleg oder Beispiel, und damit selbst Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung sein.
Beliebig lang oder ausufernd darf das verwendete Zitat jedoch nicht sein. Als Richtwerte gelten maximal ein bis zwei Seiten am Stück aus einzelnen Büchern, in begründeten Fällen auch ganze Bilder oder Aufsätze sowie Film- oder Musikausschnitte von wenigen Minuten. Insgesamt muss das Zitat angemessen sein. Stets ist auf die Belegfunktion des Zitats im wissenschaftlichen Diskurs zu achten. Zitieren darf nicht der ‚Dekoration‘, der Illustration oder der sonstigen ‚Auflockerung‘ des Textes dienen. Im Zweifelsfalle können diese Leitfragen eine Orientierung geben:
- Ist die Textpassage, die ich zitieren möchte, erforderlich, damit der Inhalt meiner Ausführungen (besser) verstanden wird?
- Ist exakt dieser Text notwendig, um den Zitatzweck zu erfüllen? (Stichwort: Beliebigkeit)
- Bleibt meine durch den zitierten Text ergänzte Aussage bestehen, auch wenn ich das Zitat weglasse?
Wenn alle drei Fragen bejaht werden, dürften Sie auf der sicheren Seite sein.
Hieraus ergibt sich jedoch auch, dass das zitierende Lehrskript für sich gesehen eine eigene Leistung darstellen muss, d.h. in wesentlichen Teilen aus der eigenen Feder stammen sollte. Etwa im Falle einer Aneinanderreihung von Zitaten in Form von Literaturauszügen oder Zeitschriftenbeiträgen wäre das kritisch; ebenso im Falle der Einfügung von Zitaten in ein Skript, das insgesamt nur ein Einleitungswort enthält oder weitgehend aus Stichworten, Gliederungspunkten oder Randbemerkungen besteht.
Wichtig ist zudem, dass das Zitat als solches gekennzeichnet sowie mit einer Quellenangabe versehen ist. Gefordert wird die genaue Angabe der Fundstelle. Hier lohnt es sich, lieber ein paar mehr Angaben zu machen als zu wenige. Im Kern sollte die Quellenangabe die folgenden Merkmale enthalten: den Namen des Verfassers/Herausgebers bzw. der Verfasserin/Herausgeberin, den Titel des zitierten Werkes, Jahres- und Seitenzahl, bei Zeitschriften zusätzlich den Zeitschriftentitel und bei Online-Quellen zusätzlich die URL mit Zugriffsdatum. Da Verlinkungen mittels einfacher URL flüchtig sind, wird der alleinige Verweis auf die URL der Quelle in der Regel nicht genügen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dürfen Bilder, Texte und andere Werkarten im Rahmen von Unterrichtsmaterialien verwendet werden; die Materialien dürfen etwa als Kopie an Studierende ausgegeben oder online abrufbar in eine passwortgeschützte Lernplattform gestellt werden.
Ebenfalls gestattet das Zitatrecht die Nutzung im Rahmen von etwa powerpoint-basierten Vorträgen und Vorlesungen.
Ja, unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 60a UrhWissG!
Bisher war das Austeilen von Papierkopien oder so genannten Readern in einer Hochschullehrveranstaltung nicht zulässig. Werkkopien durften nicht ohne die Zustimmung des/r Urhebers/in in der Öffentlichkeit angeboten werden. Diese Rechtslage hat sich nun mit § 60a UrhWissG geändert. Das Gesetz differenziert hier nicht mehr zwischen analoger und digitaler Vervielfältigung und spricht zudem von ‚Verbreitung‘, im Rahmen derer das Original oder eine Kopie des Werkes einer ‚Öffentlichkeit‘ angeboten werden darf, also auch in einer Hochschulveranstaltung. Nicht zuletzt ist die ‚öffentliche Wiedergabe‘ von Werken gestattet. Es dürfen also Videos, Podcasts, Clips etc. - in der Praxis häufig eingebunden in Präsentationen - im Unterricht gezeigt, aber auch Vorlesungen mit geschützten Inhalten in so genannten MOOCS (massive open online courses) oder in OERs (Open educational resources) überführt werden. All dies ist allerdings nur innerhalb der Rahmenbedingungen des § 60a UrhWissG gestattet.
Entsprechendes gilt für Klausuren und sonstige Prüfungen. Hier ist es zu Prüfungszwecken erlaubt, in der notwendigen Anzahl Papierkopien von Buchauszügen oder von Beiträgen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind, anzufertigen und an die Veranstaltungsteilnehmer zu verteilen.
Fakultäten oder Institute können zudem unter bestimmten Voraussetzungen Papierkopien für Studierende anfertigen und diese gegen Kostenerstattung zu Semesterbeginn überlassen. Wichtig ist hier nur, dass die Kopie auf einer konkreten Bestellung des Studierenden beruht und ausschließlich die reinen Herstellungskosten erstattet werden. Gewährleistet werden könnte dies etwa dadurch, dass sich die Studierenden zu Vorlesungsbeginn in eine Art Bestellliste eintragen.
Ja, unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 60a UrhWissG!
Hier gelten vergleichbare Regelungen wie im Falle des Austeilens von Papierkopien (Readern). E-Mails mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt oder Anhang dürfen an eine 'definierte' Personen-/Studierendengruppe versendet und auf diese Weise verteilt werden.